Was tust du nur, weil es vernünftig ist? – Antwort 9
Die Vernunft und ich – wir haben ein eher unübersichtliches Verhältnis. Es scheint mir außerdem noch verschiedene Arten „Vernunft“ zu geben, das macht die Sache nicht gerade einfacher.
Da gibt es die Sorte, die alle rationalen Gründe auf ihrer Seite haben will und deshalb keine anderen Meinungen neben sich duldet. Ich finde diese „Vernunft“ eher abweisend und unvollständig. Sie taugt für mich daher nicht als Wegweiser.
„Jetzt sei doch endlich mal vernünftig!“ – Das hörte ich ein bisschen zu oft, wenn meine Mutter wollte, dass ich tue, was sie sagt. Wenn ich mich dann entsprechend verhielt, um weiteren Ärger zu vermeiden, war ich aus ihrer Sicht endlich zur Vernunft gekommen. In meiner Wirklichkeit war ich nur gehorsam. Und kein bisschen überzeugt. Aber um Argumente ging es schließlich auch nicht.
Deshalb reagiere ich auch heute noch leicht allergisch, wenn an meine Vernunft appelliert wird. Ich werde lieber überzeugt als durch Androhung der „Vernunftkeule“ in die „richtige Richtung“ geschubst. Da habe ich mir meine wütende innere 8-Jährige glücklicherweise bewahrt, die derlei Übergriffigkeiten lautstark ablehnt.
Sie darf nur nicht vor lauter Trotz das Ruder übernehmen wollen und bockig aus Prinzip das verweigern, was wirklich vernünftig, d.h. gut für mich ist. Klappt mal besser mal schlechter. Ein bisschen rebellisch sein fühlt sich eben gut an. Stark irgendwie.
„Ich zeig’s euch!“
Im Grunde ist also die hohe Kunst, das Vernünftige, das für mich richtige zu tun, obwohl meine Mutter [setze hier gerne den Namen einer verhassten Autoritätsfigur deiner Wahl ein] eventuell genau dasselbe wollte oder will.
Dasselbe tun und der Unterschied liegt nur im „Wie“ und „Warum“. Hui! Wie schrecklich erwachsen.
Womit wir bei der „guten“ Sorte Vernunft sind.
Vernunft ist für mich die Instanz, die den Laden zusammenhält. Die dafür sorgt, dass alle meine Meinungen und Perspektiven zu Wort kommen, niemand untergebuttert wird und am Ende ein für mich als Ganzes passender Weg gefunden wird. Eine Moderatorin und Regisseurin, die eigentliche Chefin im Ring.
Das Rückgrat meldet sich zu Wort mit den Werten und Idealen, die mich aufrecht stehen lassen.
Das Herz, das einfach nur alles bedingungslos lieben will, egal wie hoch der Preis dafür ist, schüttet sich aus.
Der Bauch, der Gefahren kennt und weiß, wie leicht alles aus dem Gleichgewicht geraten kann, will alles sicher machen und schützen.
Und dann das Hirn, mein Verstand, der ganz logisch begründen kann, warum Herz und Bauch endlich mal die Klappe halten sollen und der rein rationale Weg der beste ist. (Manchmal ist es, ist er sogar der irrigen Meinung die Vernunft selbst zu sein. Und wird dann sehr, sehr laut. Da muss die Vernunft höllisch aufpassen. Das kann eine sehr überzeugende Vorstellung sein! Vor allem bei Komplizenschaft mit dem Rückgrat. Manchmal fällt sie ärgerlicherweise immer noch drauf rein.)
Und meine Vernunft hört sich das alles an, wägt ab, urteilt und entscheidet. Gibt mal dieser Seite, mal jener mehr Gewicht. Sorgt für Ausgleich und errichtet Leitplanken für mein Verhalten.
So stelle ich mir das idealerweise vor.
Und wenn ich irgendwann mal alt genug geworden bin und das immer und immer wieder geübt habe, kann ich hoffentlich auf die Frage diese Antwort geben.
Das meiste, was ich tue, folgt meiner menschlichen Vernunft.
PS: Bis es soweit ist, bitte ich um Geduld und Nachsicht bei unvernünftigem Verhalten, Widersprüchen und Seltsamkeiten.
Vielen Dank im Voraus.
PPS: Das heißt auch, dass es für mich keine allgemeingültige Vernunft gibt. Dazu an anderer Stelle mehr.
PPPS: Zur Unterscheidung „Verstand“ (hier klicken) vs. „Vernunft“ (hier klicken)
Passend dazu noch ein
Kleines philosophisches Kopfkino
Und ein bisschen Musik: