Besser Aufgeben – Mittwochsblog
Ich war 27 als meine Mutter an Brustkrebs starb. Wie ich mit diesem Ereignis umzugehen hatte, hatte ich schon längst gelernt.
Oberstes Gebot war: Ich lasse mir nichts anmerken. Mache alles mit mir selber aus und belästige ansonsten niemanden mit meinen Befindlichkeiten. Und: Meine Arbeit muss absolut unbeeinflusst weiter geleistet werden. Selbes hohes Niveau, selbe hohe Produktivität und Leistungsfähigkeit. Solche Lappalien wie Trauer um einen geliebten Menschen oder die Angst irgendwann (bald?) auch betroffen zu sein, hatten gefälligst den Lauf der Dinge nicht zu stören. Das Leben musste schließlich weiter gehen. Und man darf sich schließlich nicht hängenlassen! Nicht wahr?
Das hat so nicht geklappt. Ich habe zwar niemanden mit meiner Trauer belästigt, aber dafür mit einer immer „kürzer werdenden Lunte“ und Dauergereiztheit. Ich glaube inzwischen, dass mein immer wieder gut geübtes „Durchhalten“ in verschiedenen Krisen dazu geführt hat, dass irgendwann gar nichts mehr ging.
Darum geht es
Durchhalten
Die Zähne zusammenbeißen und stur weitermachen ist prinzipiell eine sehr nützliche Eigenschaft. Viele Ziele erreichen wir nur, indem wir durchhalten und uns immer weiter anstrengen. Diese Art der Hartnäckigkeit und Geduld ist für mich aber eine andere, gesündere Art des Durchhaltens. Sie ist zeitlich begrenzt, weil sie auf ein konkretes Ziel hinarbeitet. Pausen machen ist selbstverständlich und Regeneration ist Teil des Plans. Jedenfalls wenn wir uns bewusst Gedanken darum machen und vernünftig handeln.
Auch den „Turboknopf“ zur Mobilisierung von Kräften bei plötzlichen Krisen drücken zu können ist super-nützlich. Das biologische Stresssystem springt an und wir können richtig viel schaffen. Für einen begrenzten Zeitraum ist das großartig. Dauerstress macht allerdings krank und lässt uns schlampig und fehlerhaft denken und fühlen. Nicht gerade gute Voraussetzungen für geniale Entscheidungen und weises Handeln.
Ich habe mir mein damaliges Verhalten allerdings auch ganz „vernünftig“ erklärt: Ich will mich nicht mehr schlecht fühlen. Das soll so schnell wie möglich „weggehen“. Also verhalte ich mich einfach so wie vorher. Fertig! Dann wird das schon von selber besser. Die Zeit heilt ja alle Wunden! Dann soll sie mal!
Also: Gründliches Abtauchen in Routine und einen geregelten Arbeitstag. Möglichst viel arbeiten und in den Aufgaben dort aufgehen. Sich richtig gut engagieren. Den Chef glücklich machen. Den Arbeitsplatz erhalten. – Wie man sieht: Super durchdacht! Ich habe es mir jedenfalls geglaubt. Nun ja! Ich sagte ja bereits: Weisheit und Stress sind keine Geschwister.
Geregelte Arbeit kann in einer wie auch immer gearteten Krise oder bei unerwünschter Veränderung tatsächlich ein Segen sein. Ein Korsett aus Struktur und Gewohnheit, das mich trägt und hält. Probleme entstehen, wenn das die notwendigen Anpassungen und Veränderungen verhindert.
Bambus biegt sich bei Wind und unter Schnee, um sich wieder aufzurichten, wenn die Belastung verschwunden ist. Bambus passt sich wirklich an und bricht deshalb nicht. Das ist Resilienz.
Bambus „verzichtet“ allerdings für eine Weile auf das aufrecht Stehen und gibt nach!
Nur die Harten kommen in den Garten!
Nachgeben und Aufgeben sind keine gefragten Kernkompetenzen bei der Krisenbewältigung. Was irgendwie schade ist. Denn statt der Frage: Wie mache ich meinen Chef/ meine Familie glücklich? wäre die Frage „Wie überstehe ich das alles am besten?“ doch viel spannender. Leider lebt niemand im luftleeren Raum. Und in einer Kultur, die immer wieder fordert „Niemals aufgeben!“ ist es deutlich schwieriger, solche Freiräume für sich zu schaffen.
Wenn zurückschrauben wollen, Hilfe brauchen oder gar Aufgeben als persönliches Versagen gewertet werden und zur Beschämung benutzt werden, ist grundsätzlich etwas faul.
Denn dann stehen diese Möglichkeiten der Krisenbewältigung nicht mehr als echte Optionen zur Verfügung. Damit berauben wir uns jedoch eines gesünderen Umgangs mit Krisen. Denn ausgerechnet in einer schwierigen Situation, in der man soziale Unterstützung dringend bräuchte, auch noch beschämt, also mit Ausschluss aus der Gemeinschaft bedroht zu werden, ist absurd.
Wenn es wichtiger ist, die Angst um den Arbeitsplatz mit immer weiteren Kraftanstrengungen in Schach halten zu müssen, als auf die eigenen Gesundheit achten zu dürfen, das ist schon eine krasse Situation.
Besser aufgeben
Es wäre klüger, „kontrolliert“ aufzugeben: Zum Beispiel Anforderungen hinsichtlich Aufwand und Timeline, Dauermeetings, Micro-Managing, in Stein gemeißelte Ziele, …
Vielleicht sogar sich selbst aus dem Verkehr ziehen, solange es noch eine freiwillige Option und Entscheidung ist. Denn eins ist auch klar: Dauerstress und Dauerüberforderung in einer Dauerkrisensituation machen irgendwann krank.
Und dann entscheidet der Körper nämlich irgendwann ganz autonom, dass es reicht. Dann helfen kein Zusammenreißen und Durchhalten mehr. Dann geht eben kurzerhand gar nichts mehr: Leistungsfähigkeit auf Null, Konzentrationsspanne einer Stubenfliege, Schlafstörungen und Dauerschmerz.
Und wenn man den Jackpot gewonnen hat, geht das auch nicht alles wieder weg nach ein paar Monaten. Sondern bleibt als irreversibler Schaden einfach da und zwingt dauerhaft zum gaaaaanz langsam Machen. Für immer!
Seitenhieb: Bei den heldenhaften „Burnout-ist-das-Beste-was-mir-je-passiert-ist“-Geschichten kommt das natürlich nicht vor. Die, denen es so geht, haben nämlich meistens keine Kraft und keine Lust mehr Bücher zu schreiben*. Die schreiben dann nur Blogartikel. Wenn’s denn geht.
*Die Bücher würde ja sowieso kein Verlag haben wollen, viel zu düster.
Verkauft sich nicht gut! Wer will das schon lesen?