Facettenreich – Teil 1 von Antwort 27
Ich finde es prima, Persönlichkeitsanteile verstecken zu können. Das erleichtert das Zusammenleben doch beträchtlich. Manchmal wünsche ich mir sogar, dass andere Menschen noch viel weniger freigiebig mit der Enthüllung ihrer verschiedenen Persönlichkeitsanteile wären. Wer schon mal in einem Meeting saß, in dem sich der innere wütende 5-jährige des Kollegen wie im Sandkasten um das Schippchen streitet, hat das bestimmt auch schon mal gedacht.
Darum geht es
Ich bin Viele! 😉
Ich bin davon überzeugt, dass wir alle aus sehr verschiedenen Mosaiksteinen zusammengesetzt sind. Und beim genaueren Hinschauen Persönlichkeitsanteile entdecken können, die sich untereinander gar nicht grün sind, weil sie völlig verschiedene Dinge wollen. Woher sollten denn sonst unsere inneren Konflikte kommen und Entscheidungen manchmal so schwer sein? Das geht auf das Konto von „uns vielen“.
Lieber noch eine Folge „Deep Space Nine“ gucken oder ins Bett gehen?
[Wer von euch Nasen hat gerade „Play“ gedrückt?]
Meine vielen verschiedenen Anteile gehören alle (zu) mir und mit den meisten komme ich inzwischen ganz gut klar. Sie helfen mir dabei, mich besser in Andere hineinversetzen und verschiedene Perspektiven einnehmen zu können. Widerspruchsfrei und ohne Zweifel sein ist vielleicht -ganz vielleicht!- etwas weniger anstrengend, aber ich glaube, es würde mich zu einer „know-it-all“- Ziege machen. Und solche Leute kann ich nicht leiden, so will ich nicht sein.
Wichtig ist mir dabei aber, einen Anteil zu kultivieren, der moderiert – eine Regisseurin sozusagen. Sie ist die, die den Überblick behält und dafür sorgt, dass die „passenden“ Anteile ihren Einsatz nicht verpassen. Also – im Idealfall. Manchmal wird sie allerdings von der rabiaten 9-Jährigen überrumpelt, die so gar nicht mit der Sache einverstanden ist… Dann ist sowieso nichts mehr mit „Anteile verstecken“, dann reißt sie die Szene an sich. Upps…
Rollenspiele
Wenn ich jederzeit „alles“ von mir zeigen wollte, wäre das für mein Umfeld wahrscheinlich vor allem eines: Sehr verwirrend! – Denn dazu kommen ja auch noch die verschiedenen Rollen, die wir im Leben so haben. Spätestens jetzt wird es sowieso unübersichtlich. Wer hat denn das Sagen, wenn ich als Lebenspartnerin, Tochter, Kollegin, Chefin, Freundin, gute Bekannte, Nachbarin, Patientin, Kundin, … unterwegs bin? Immer alle dabei haben und mitquatschen lassen? Upps! Eher nicht! – Lieber eine sorgfältig kuratierte Auswahl antreten lassen und den Rest „verstecken“. Wie gesagt … im Idealfall.
Kenne dich selbst
Damit ich und mein Leben nicht andauernd von Rebellen, Piraten und anderen zwielichtigen Subjekten überrascht und gekapert werden, ist es nicht verkehrt, überhaupt erstmal möglichst viele Persönlichkeitsanteile zu kennen. Das ist einer der Gründe, warum ich Selbsterkenntnis so wichtig finde. Ich will nicht so oft von unberechenbaren oder unbekannten Anteilen überrumpelt und schlimmstenfalls sabotiert werden. Die Regisseurin muss möglichst alle ihre Pappenheimer kennen. Dann kann sie ihren Job mit der idealen Besetzung immer besser machen. Von wegen Ziele erreichen und nach den eigenen Werten leben und so.
Die Welt ist nicht immer nur „nett“
Teile von sich selbst zu verstecken, kann die smarteste Entscheidung überhaupt sein. Wenn ich weiß, dass mein Chef sich brutal über mich lustig machen würde, wenn er herausbekäme, dass ich auf Kitschromane stehen, werde ich sehr sorgfältig darauf achten, niemals und unter keinen Umständen einen Nora Roberts Roman herumliegen zu lassen. Das wäre einfach nur leichtfertig.
Das gehört nur mir
Manches, das zu mir gehört, möchte ich vielleicht auch nur für mich selbst haben. Ein Geheimnis, das niemand kennt. Wie köstlich. Vielleicht schreibe ich heimlich Gedichte. Nur für mich und mein eigenes Vergnügen. Ohne den Wunsch, dafür Anerkennung zu bekommen oder meine Ideen mit einem anderen Menschen zu teilen. So etwas fände ich sehr ungewöhnlich, aber es ist ein inspirierender Gedanke.
Vielleicht habe ich auch einfach nur keine Lust auf langwierige Erklärungen oder Rechtfertigungen. Verbergen aus purer Bequemlichkeit ist ein bewährtes Mittel um den eigenen Seelenfrieden zu erhalten. „Nein, ich finde meine Briefmarkensammlung kein bisschen spießig!“ „Warum ich fehlerhafte Streichhölzer sammle, weiß ich auch nicht. Ich find’s eben toll!“
Beschämt verstecken
Traurig ist es dagegen, wenn wir anfangen, uns für Teile unseres Selbst zu schämen und sie deshalb zu verstecken. Scham trennt uns voneinander. Deshalb ist es wichtig und gut, dass immer mehr Dinge normalisiert werden, die früher tabu waren. Dann zeigen wir auch immer mehr Persönlichkeitsanteile und werden als buntere und schillerndere Persönlichkeiten sichtbar.
Das gehört zu einer offenen und toleranten Gesellschaft dazu. In so einer will ich leben.
Und hinter diesem Aspekt verbirgt sich noch so viel mehr, dass es einen zweiten Teil des Artikels geben wird.
Facettenreich – Teil 2 von Antwort 27
Ich finde es prima, wenn Menschen möglichst viele ihrer Persönlichkeitsanteile zeigen. Das macht sie zu bunteren, schillernderen und komplexeren Menschen. Das finde ich interessant, spannend und inspirierend. Und manchmal auch anstrengend.
[Fortsetzung folgt.]