Ganz genau wissen, wo’s lang geht- Mittwochsblog

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Burnout Monat März

Da hat ein ganz wunderbarer Plan mal wieder nicht so funktioniert, wie ich das vorhergesehen habe. Ich sollte diese Glaskugelsache für den Moment mal aufgeben.

Anfang des Monats stand die Ankündigung, dass ich darüber berichten würde, wie ich nach und nach in diesen Zusammenbruch reingeschlittert bin, ohne es zu merken. Dass ich die Alarmzeichen nicht bemerkt oder nicht als solche erkannt habe. Ich wollte berichten, was in den Jahren danach passiert ist und was sich durch diese Erfahrung alles verändert hat.

Im Schreiben habe ich dann bemerkt, dass da noch anderes dahinter steckt als gedacht. Die Themenliste, die ich mir gemacht und auf der ich festgelegt hatte, was ich endlich einmal strukturiert in einer Handvoll Artikel aufschreiben wollte, wurde immer egaler. Dann hat mir auch noch meine zurzeit unberechenbare Gesundheit einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Aufschreiben verändert

Aufschreiben macht immer etwas mit mir und den Themen, über die ich schreibe. Etwas ganz klar und deutlich im eigenen Kopf haben, heißt noch lange nicht, dass es auch auf dem Papier schlüssig, logisch und vor allem verständlich erscheint. Deshalb soll man sich auch nicht alles glauben, was man so denkt. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum ich schreibe: Hinterher bin ich meistens sortierter im Kopf als vorher und habe im besten Fall Denkfehler und Blödsinn erkannt und etwas Neues gelernt. Diese starke Transformation beim Thema Burnout hatte ich jedoch nicht erwartet.

Das Darüberschreiben hat zusammen mit meiner aktuellen Situation die Perspektive auf die letzten zehn Jahre erweitert und verändert.

Ich bin nicht mein Burnout

Sandra hat mir letzte Woche auf meinen Instagram Post mit der Frage, ob man eigentlich immer etwas aus den eigenen, vor allem den schwierigen Erfahrungen „machen muss“ etwas sehr Kluges geantwortet.

„Manchmal habe ich übrigens auch den Eindruck, dass das „Auf- Biegen-und-Brechen-was-draus-machen-müssen“ dazu führen kann,      dass man sich immer mehr damit identifiziert und es dadurch    immer enger wird. Und selbst wenn man dann (irgendwann)    tatsächlich „was draus gemacht hat“, ist das ganze Ich mit   diesem Thema überidentifiziert.“

Für manche ist der Weg, um mit einer schwierigen Situation oder einem Schicksalsschlag abzuschließen, dass sie zur Spezialistin für das jeweilige Thema werden. Und so diesem Ereignis etwas Positives abzugewinnen. Für mich hat das nicht funktioniert. Nicht mal einen Monat lang. Vielleicht auch weil ich Monothematik als Scanner immer schnell langweilig finde?

Ich bin also keine Burnout-Spezialistin geworden. Vielleicht weil ich mir „davon“ nicht meine Lebens-Themen und meine Identität diktieren lassen will.

Da bin ich störrisch. Mich interessieren andere Sachen viel mehr.

Trotzdem war 2011 der Beginn eines neuen Lebensabschnittes

Natürlich hat mich die Erfahrung „Burnout“ verändert, etwas anderes zu behaupten wäre Quatsch. Dadurch wurden die Weichen in meinem Leben umgestellt. Ich bin danach beruflich selbstständig geworden und arbeite seitdem als meine eigenen Chefin. (Und weiß, dass es keinen Weg zurück mehr gibt.) Diesen Weg hätte ich sonst wahrscheinlich nicht gewählt. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt und so wenig vorbereitet.

Wenn ich meinem Selbst von vor 10 oder 15 Jahren gute Ratschläge geben könnte, wie sie den Burnout verhindern solle, würde sie mich wahrscheinlich gar nicht verstehen, mir vielleicht noch nicht einmal zuhören. Sie wäre so überzeugt davon, dass sie schon alles richtig macht, dass ich ihr wie aus einer fremden Welt mit seltsamen Sitten und Gebräuchen erschienen wäre. Diese Zukunft, die mein jetziges Ich darstellt, hätte sie nicht verstanden. Für sich nicht so gewollt.

Sie lebte nach fest verankerten Grundsätzen: Sie war leistungsfähig und bereit sich anzustrengen. Wenn etwas nicht gleich gelang, versuchte sie es noch einmal, strengte sich mehr an. Sie hatte ihre Gefühle im Griff, nicht umgekehrt. Undenkbar, dass sie sich von Emotionen diktieren ließe, was sie zu tun habe! Erfolg war klar definiert und mit dem Gehalt eindeutig messbar. Die Frage Kinder oder Karriere hatte sie mit Karriere beantwortet. Sie arbeitete dafür, dass es eine etwas größere wurde. Machte, was von ihr verlangt wurde. Sie war flexibel und belastbar. Ihren Stresszustand würde sie auch noch in den Griff bekommen. Wenn sie ihre Belastbarkeit noch mehr trainierte. You can do anything. Just do it! So wollte sie sich gerne sehen.

Sie lag leider in einigen grundlegenden Dingen falsch.

Ich habe mich damals vor zehn Jahren nicht gut gekannt. Wusste nicht, was wirklich gut für mich ist. Was ich brauche, um glücklich und zufrieden zu sein. Deshalb auch die vielen Fragen, die auftauchten, als ich aus der Bahn geworfen war:

Wie will ich arbeiten? Wofür setze ich meine Zeit ein? Woher kommt eigentlich dieser enorme Stress? Und die Ängste? Wieso hilft mir nicht, was „allen“ hilft? Wieso geht es mir immer wieder schlecht? Wie werde ich mit Verlusten und Trauer fertig? Was sind die Gründe hinter meiner Selbstsabotage? Wieso stehe ich mir manchmal so gründlich selbst im Weg? Warum hilft Psychotherapie mir nicht wirklich? Was mache ich immer noch falsch? Und warum? Was und wieviel braucht mein Körper an Schlaf, Erholung, Essen, Bewegung? Welche Arbeit liegt mir wirklich? Welche Werte wurden mir andressiert? Wie arbeite ich am besten? Wie will ich leben? Wieso kann ich das alles nicht einfach so beantworten? Warum weiß ich so wenig über mich? Warum geht es mir immer noch nicht besser? Wann hält die innere Kritikerin endlich mal den Mund? … … …

Die Fragen leben, statt die Antworten

Ich bin von einer Frau mit Antworten zu einer Frau mit jeder Menge Fragen geworden. Inzwischen finde ich das spannend und OK. Aber zwischendurch, in Zeiten, wenn es sich anfühlte als seien alle Gewissheiten weg, da war das sehr beunruhigend und bereitete mir viele schlaflose Nächte. Ich fühlte mich manchmal so, als würde ich mitten im Wald stehen, nachts, ohne Karte, ohne Wegweiser und manchmal sogar ohne Weg. Manchmal habe ich dabei Wölfe heulen gehört. Echt wahr!

Den inneren Kompass wieder aktivieren

Über die letzten Jahre habe ich dann meinen inneren Kompass wieder ausgegraben, gereinigt und repariert. Aber das ist eine Geschichte, die ich erst im Nachhinein daraus mache. Damals wusste ich nicht, was ich eigentlich tat. So habe ich mich durch mehrere Regalmeter Bücher gelesen, Workshops besucht, Ausbildungen gemacht. Dabei habe ich wunderbare Menschen kennengelernt, die mich inspiriert haben. Das gefällt mir richtig gut. Meine Neugier und meine Freude am immer-Neues-lernen haben mir dabei geholfen, mit den vielen Fragen fertig zu werden, die auftauchten.

Noch funktioniert der Kompass nicht fehlerfrei. Wird er vielleicht auch nie und wahrscheinlich ist das auch gar nicht notwendig. Verirren ist nicht schlimm. Manchmal ignoriere oder überhöre ich ihn auch. Es ist einfach ungewohnt, diesen Mehrklang aus Verstand, Rückgrat, Herz und Bauchgefühl wahrzunehmen. Das klingt ja auch nicht immer auf Anhieb gut, sondern oft genug widersprüchlich, dissonant. Manchmal will das Herz mehr Freude, Freiheit, Fanta und der Verstand bitte mehr Sicherheit und weniger Zucker. Gegenseitiges Vertrauen muss sich erst aufbauen. Das dauert eben.

Die alte Routine, der verlässliche Autopilot, die sich beide eher an äußeren Rat- und Taktgebern, Normen und alten Glaubenssätzen orientieren, fühlen sich oft immer noch vertrauter und damit sicherer an:

Der Wecker hat früh am Morgen zu klingeln, geschlafen wird nur nachts, Erfolg wird definiert wie folgt, so viele Kalorien darfst du zu dir nehmen, so viel musst du dich bewegen, das darfst du wiegen, so sollst du als Frau sein, das machen alle Selbständigen so, so viel musst du arbeiten, sonst wird das nichts, … … … die Liste der Briefings ist endlos.

Entscheidungen zu treffen ist durch das Ausschalten des Autopiloten erst einmal viel schwieriger geworden. Komplexer. Mehr Facetten, mehr Perspektiven, mehr Optionen, mehr Handlungsmöglichkeiten. Manchmal führt diese Fülle zur Entscheidungsparalyse – nicht entscheiden können, weil zu viele Optionen möglich erscheinen. Aber langsam wird es besser. Kenne ich mich besser aus mit mir selber.

Wieder eine neue Situation

Durch meine aktuellen gesundheitlichen Einschränkungen muss ich mir einige der Fragen jetzt wieder neu stellen.

Sobald du eine Antwort hast, ändert das Leben die Frage. Tja!

Ich werde also weiter lernen. Weiter fragen. Mich immer wieder neu kennenlernen. Mir immer wieder eine neue Lebensversion zusammenbauen, mit der ich mich wohlfühle und die auf die neuen Fragen eine Antwort hat. Für eine Weile. Und dann geht es wieder weiter. Wie immer! 🙂

 



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