Corona-Blues im Mittwochsblog
Kurze Antwort: Vielleicht weil du erschöpfter bist als du denkst und als dir lieb ist. Deshalb brauchst du vor allem erstmal Ruhe und Erholung statt Action und Verabredungen.
Darum geht es
Wir haben es geschafft! Oder?
Die Durchhaltephase ist erstmal vorbei: Corona-Lockerungen machen Treffen, Essen und ins Café gehen und viele andere Aktivitäten wieder möglich, auf die wir so lange schmerzlich verzichten mussten.
Und du sitzt zuhause und hast keine Lust darauf. Wie kann das sein? Du hast dich doch sooooo darauf gefreut. Hast es so sehr vermisst! Das hat sich schrecklich angefühlt. Jetzt ist das vorbei und du machst nicht das, was dir früher Freude gemacht hat. Auch das fühlt sich nicht gut an.
Hast du also vielleicht sogar schon eine Depression entwickelt* Magst du deine Freunde vielleicht gar nicht so sehr, wie du immer dachtest?
Bevor du jetzt Angst um deine psychische Gesundheit bekommst oder alle deine Beziehungen einem gründlichen und kritischen Check-up unterziehst, könntest du kurz eine andere weniger dramatische Möglichkeit überprüfen:
Vielleicht bist du einfach „nur“ sehr, sehr erschöpft
Und wenn das so ist, brauchst du vor allem Erholung. Und dein Körper und deine Seele zeigen dir eben das durch Lustlosigkeit.
In der harten Lockdown-Phase haben viele vor allem ein Ziel gehabt:
Durchhalten -irgendwie- bis der Spuk vorbei ist.
Durchhalten, die Zähne zusammenbeißen, Tag für Tag den wilden Tanz aus Aufgaben unter erschwerten Bedingungen bewältigen, hat viel Kraft gekostet. Du hast vielleicht Konflikte vermieden, indem du dich mit Dinge abgefunden hast, die du „normalerweise“ nicht tolerieren würdest. Du hast auf Kontakt verzichtet und die Abende alleine oder mit deinen „Im-selben-Haushaltsmenschen“ verbracht. Vielleicht öfter als dir lieb war einfach auf dem Sofa vor dem Fernseher.
Und selbst wenn sich das wie ein träger arg verlängerter Winterschlaf angefühlt hat, warst du im anstrengenden und kräftezehrenden Überlebensmodus. Wie der Bär im Frühling brauchst du jetzt erstmal wieder eine Erholungs- und Umstellungszeit. Das kann ein bisschen dauern. Je nachdem, was du erlebt und durchgemacht hast.
Wie Rekonvaleszenz nach einer Krankheit
Auch wenn jemand eine schwere Krankheit überstanden hat, ist es nicht „vorbei“, wenn die Patient:in das Krankenhaus verlässt. Es schließt sich noch eine Reha- oder Rekonvaleszenzphase an. In der wird durch langsames Training abwechselnd mit viel Erholung bei entspannenden Tätigkeiten der geleerte Akku wiederaufgefüllt. Gleichzeitig baut sich ein neues Lebensgefühl auf.
Genauso wie ein neues Gefühl für die eigene Person. Du bist jetzt ein Mensch, der das Jahrhundertereignis „Corona-Pandemie“ erlebt hat. Die Erlebnisse, die du hattest, müssen auch erst einmal verarbeitet, d.h. in deine Lebenserzählung eingebaut und von dir akzeptiert werden. Vielleicht gibt es Dinge, die du bedauerst. Vielleicht möchtest du einiges ja auch gar nicht wieder eins zu eins zurückverändern. Vielleicht hast du auch etwas über Menschen und die Welt, in der du lebst, gelernt, das dir gar nicht gefällt.
Ja! Das ist dir alles passiert!
Ja! Du hast das alles miterleben müssen!
Ja! Das alles weißt du jetzt!
Das braucht Zeit und auch wieder Energie.
Und vielleicht steht das jetzt an und du hast deshalb keine Lust auf Aktivitäten.
Maybe you are not depressed,
but need deep rest!*
Was kannst du tun?
Dinge, die mir beim Erholen, Verarbeiten und Integrieren gut helfen
- In meinem Journal schreiben. Entweder als „Free-writing“ oder mit Schreibimpulsen.
- Möglichst viel draußen in der Natur sein.
- Öfter (kürzere) Pausen „als früher“ machen.
- Collagen kleben, Doodeln/ frei zeichnen, frei malen.
- Ich plane erstmal nur kürzere und kleinere Aktivitäten.
(Auch, wenn es mir schwer fällt zu „verzichten“. FOMO und so kenne ich natürlich auch.)
Herr Hurzelmeier würde dazu sagen:
Der Bart des Eremiten muss sehr langsam geschoren werden,
bevor er wieder aus seiner Höhe gehen kann.
Abruptes Abreißen schadet nur.
*Wichtiger Hinweis: Depressionen sind eine ernstzunehmende Erkrankung! Genauso wie bei jeder anderen schweren Krankheit braucht es schnelle Abklärung und Diagnose durch einen Arzt oder Therapeuten. Wenn du also befürchtest, dass du depressionsgefährdet bist, suche so schnell wie möglich Hilfe. Auch wenn es in einigen Regionen schwierig sein kann, einen dauerhaften Therapieplatz zu bekommen, kannst du unter der Telefonnummer 116 117 kurzfristig einen Ersttermin zur Abklärung bekommen.
Hier gibt es noch weitere Informationen und Unterstützung: Freunde fürs Leben e.V.
Im Netz unter: https://www.frnd.de/ Dort kannst du auch einen ersten Selbsttest durchführen.