Noch zwei Gründe, warum es sich lohnt, meistens* authentisch zu agieren – Mittwochsblog #55
Ich rege mich gerade fürchterlich über „sie“ auf! Was sie tut und was sie vor allem nicht tut. Und wie sie es nicht tut! Das ist überhaupt das Allerschlimmste! Immer weiter steigere ich mich hinein, sammle „Beweise über Beweise“, dass ich recht habe. Mein Gegenüber bestätigt mich netterweise, wie schlimm die abwesende „sie“ ist. Es versteht mich eben wirklich gut! Nicht so wie die da.
Irgendwann habe ich genug Bestätigung eingesammelt und das Aufregen fängt an, mich zu langweilen. Also rege ich mich wieder ab. Ich weiß jetzt ja, dass ich recht habe. Ein kluger Mensch hat es mir schließlich gerade bestätigt.
Eine halbe Stunde später fallen mir unter der Dusche allerdings zwei Sätze ein:
- Alles, was dich länger als fünf Minuten aufregt, hat mit dir zu tun.
- Wenn unklare oder unvollständige Informationen vorliegen, füllt das Hirn die Lücken selbsttätig auf.
Mist! Ich drehe die Dusche noch heißer. Das gleicht die kleine, heiße Welle aus, die gerade durch mich durchwabert. Mist! Mist! Mist! Das waren eben definitiv mehr als fünf Minuten! Und habe ich mich wirklich über die Tatsachen aufgeregt oder doch eher über die „Story“, die ich in meinem Hirn entwickelt habe?
Also, was hat es mit mir zu tun? Über was genau habe ich mich so aufgeregt?
[…] Nachdenkpause — Oh! […]
Darum geht es
Was ist mir da eigentlich schon wieder passiert?
Ich steckte vorher in einer Situation, in der meine Gesprächspartnerin ambivalente Aussagen und Verhaltensweise gezeigt hatte. Irgendwie passten Aussage, Stimme und Gesichtsausdruck nicht so richtig zusammen. Dazu noch bisherige Erfahrungen. Es war alles irgendwie schräg. Angesprochen darauf habe ich sie aber nicht, weil ich wusste, dass das in noch mehr Konflikt endet und nicht in Klärung. Das habe ich schon gelernt in der Interaktion mit ihr. Also vermeide ich den Konflikt („Bringt ja eh‘ nichts!“) und meine Verärgerung läuft ins Leere. (Sehr geschickte Strategie – wenn auch wahrscheinlich unbewusst- meines Gegenübers übrigens: Sie muss sich nicht streiten und kann sich ihr Selbstbild von der „freundlichen Person“ prima aufrecht erhalten. Aber das ist ein anderes Thema.)
Stattdessen mache ich mir also meine eigenen Gedanken. Mein Hirn füllt die Lücken und erklärt die Widersprüche. Nur eben auf seine Weise, mit den mir eigenen Erfahrungen und Weltmodellen. Das geht schnell und läuft zum Großteil unbewusst ab. Am Ende wird meinem Bewusstsein jedenfalls eine sehr schlüssige Story präsentiert. Die hat nur nicht unbedingt etwas mit der Wahrheit meines Gegenübers zu tun. Aber das Gute ist: Jetzt habe ich eine guten Grund für meinen Konflikt mit ihr. Allerdings habe ich den nicht mehr mit der realen Person, sondern mit dem Bild, das ich mir von ihr gemacht habe. Egal! Hauptsache ist: Meine Verärgerung oder Wut hat ein Ziel! Ha! Ich weiß wohin damit und lasse das Ganze einer anderen Person gegenüber endlich raus. Das fühlt sich gut an!
Beim nächsten Zusammentreffen mit ihr ist das Ganze wahrscheinlich heruntergekühlt. Oder ich fange einen Streit mit dem Bild an, dass ich mir von ihr zusammengezimmert habe. Das wird lustig! …
Warum ist das so kompliziert? Und: Geht es auch anders?
Was ich für mich aus dieser Geschichte und den dazugehörigen Gedanken ziehe ist,
- Dem Streit nicht immer aus dem Weg zu gehen, obwohl er „sinnlos“ erscheint.
Denn wenn es immer wieder zu Konflikten kommt, die sich nicht klären lassen, muss ich mir irgendwann die Frage stellen, ob die Beziehung für mich eine gute ist. Durch Konfliktvermeidung drücke ich mich vor dieser unangenehmen Frage.Ich kann immer nur mich ändern. Andere sind nicht dazu da, meine Erwartungen zu erfüllen.
Und wenn Grundsätzliches nicht (mehr) stimmt, muss ich die Beziehung beenden.
Immer weiter unterschwellig schwelende Streitigkeiten sind nur belastend und ziehen viel zu viel Energie. Vielleicht stimmt die Chemie einfach nicht (mehr). Vielleicht habe ich mich, haben wir uns verändert. Vielleicht hat genau das ja sogar der Kontakt miteinander bewirkt.
- Ich mag nicht mehr die Projektionsfläche für andere sein.
Denn natürlich kenne ich das unklare Herumlarvieren und möglichst unscharf sein auch als eigenes Verhalten. Deshalb regt es mich ja auch so auf!
Das Praktische ist ja, dass man dann alles für alle sein kann. Ich muss mich nicht festlegen, kann mich offen geben und finde gute Argumente für beide Seiten. Ich bin verständnisvoll und flexibel.
Das bin ich gerne, denn das passt gut zu meinem Bild von mir selbst.
[Und dann haben mich alle lieb! Dann bin ich sicher! <– Subtext]
Dann kommt es aber blöderweise zu richtig dämlichen Konflikten, weil sich jemand ausgedacht hat, wie und wer ich bin! Und ich kann mich dann nur wundern, wo diese ungerechtfertigten Angriffe herkommen. „So“ bin ich doch gar nicht. 🤷🏻♀️
Also wenn schon Konflikte, dann so gut es geht über die Sache an sich und nicht über irgendwelche ausgedachten Zerrbilder der Realität. Dafür lässt sich dann garantiert keine Lösung finden.
Deshalb: Mehr Klarheit, mehr authentisch sein und weniger Weichzeichner.
(Urgs, gilt das jetzt auch fürs Schreiben…????)
Ach ja! Die Gründe fürs häufigere Authentisch-sein fehlen noch:
Klarere Ansagen, damit weniger Projektionsfläche für andere bieten und ihr habt wahrscheinlich mehr Streits und Konflikte mit den wirklichen Themen! Dadurch auch eher Chancen, sie wirklich auszuräumen und zu lösen.
Und ihr werdet etwas weniger missverstanden und für das gemocht (oder abgelehnt) für das ihr wirklich steht.
Also, ich finde das ziemlich gute Gründe!
* Ja! „MEISTENS“! Immer geht nicht bzw. wäre nicht sehr klug. Aber das ist ein anderer Artikel für ein andermal.