Shitty first drafts oder „Ich kann das alles nicht!“
Ich will schreiben. Ich will großartige, bewegende, gute, mitreißende Texte schreiben. Meine Geschichten und Blogposts sollen immer so toll sein wie die Bücher und Artikel, die ich gerne lese. Ich weiß, was mir gefällt und sowas will ich auch machen. Also ran an den Füller, Papier auf den Tisch – und LOS!
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Mit fällt nichts Großartiges ein, nur lauter kleine Gedanken, alles schon tausendmal gelesen. Da ist doch nicht das kleinste Fitzelchen Eigenes und Originelles dabei.
OK, OK – dann schreibe ich erstmal etwas richtig Schlechtes! Das soll man doch so machen – Shitty First Draft! Das hab‘ ich doch mal in diesem Buch gelesen.*
Ich will aber nichts Schlechtes aufs Papier bringen. Das ist Zeit- und Materialverschwendung. Ich schreibe lieber, wenn ich dazu in der richtigen Stimmung bin. Nicht dass ich aus Versehen entdecke, dass ich doch nicht so genial gut bin, wie ich mir immer einrede. („Ich kann das!“ – „Ich bekomme das hin!“ – „Ich bin gut!“) Sich schämen fühlt sich immer gruselig an, selbst wenn ich mich nur vor mir selber schäme.
Kunst kommt von Können!
Und ich kann halt nicht!
(Deshalb hast du auch schon eine halbe Seite vollgeschrieben. Jaja, nicht genial…keine Kunst! Ist schon klar!)
Naja, das hier ist auch der „Shitty first draft“, der muss ja auch noch nicht perfekt sein.
(Das ist ein bisschen gelogen, weil ich gerade die handschriftliche Version abtippe und schon ein bisschen dabei überarbeite…Hier zu lesen ist also sowas wie der „hopefully-a-little-bit-better-than-the-first-draft – draft“)
Kunst Ganz gute Texte kommen vom Üben.
Damit etwas verbessert werden kann, muss eben überhaupt erst einmal IRGENDETWAS da sein.
Edward Hopper hat sich auch nicht vor die Leinwand gestellt und gesagt: „So! Jetzt male ich mal die „Nighthawks at the diner!“ Im Gegenteil: Da gab es Seiten um Seiten und Skizzenbücher mit Vorstudien und Ideen. Irgendwann wurde daraus dann das Bild.
(Das habe ich in einer fantastischen Hopper-Ausstellung vor Jahren in Köln gesehen. Online ist das z.B. hier zu finden https://www.artnews.com/art-news/news/how-edward-hopper-storyboarded-nighthawks-2276/ )
Selbst wenn ich nicht Edward Hopper bin, den Prozess kann ich kopieren. Auch fürs Schreiben. Erstmal mit Skizzen anfangen, Stichwörtern, Blättern voller kleiner Ideen. Dann sehe ich sehr schnell konkret, was mir gefällt und was mit NOCH nicht gefällt. Wovon ich gerne mehr hätte und was eine untaugliche Idee war.
Trotzdem: Als erstes muss ich über die unangenehme Schwelle am Anfang. Ich fange an, obwohl ich weiß, dass mir an irgendeiner Stelle wahrscheinlich gar nicht gefallen wird, was ich da tue. Und vielleicht weiß ich erstmal nicht, wie ich das verbessern kann. Das ist unangenehm.
Anzufangen, obwohl ich weiß, dass das kommt, braucht ein bisschen Mut. Aber ich stehe mit meinem Entwurf ja erstmal nur vor mir selbst und sonst niemandem.
Wenn ich dann nett zu mir bin und mir sowieso die Erlaubnis zum Üben und Lernen gegeben habe, statt mich als unfähigen Idiotin zu beschimpfen, tut es auch gar nicht mehr so weh, sondern ist ein völig normaler Schritt im Prozess. Vielleicht unangenehm, aber nicht selbstsabotierend.
Das ist eine Haltung, die ich weiter kultivieren möchte, um vor allem eins zu haben:
Freude am Schreiben!
*Anne Lamott, „Bird by Bird“ – großartiges Buch zum Schreibprozess.