60 Fragen – Antwort 8
Das einfache Leben. Wie würde es für dich aussehen?
Das einfache Leben. Das Einfache leben.
Der helle Raum mit weißen Musselingardinen. Ein roher Holztisch. Viel Licht. Ein Sessel, ein Buch. Es wirkt fast ein bisschen karg. Wenig Besitz. Minimalismus. Auf jeden Fall gibt es genug zu essen und eine schöne Wohnung. Es geht hier nicht um unfreiwilliges Sich-beschränken-müssen. Reicht ein einfaches, schlichtes Design, um ein einfaches Leben zu führen?
Ich glaube, dass unsere äußere Welt oder die Dinge, mit denen wir uns umgeben, nicht das Entscheidende dafür sind, ob wir ein „einfaches Leben“ führen können.
Es ist naheliegend, dass wir das glauben, weil wir in einer materialistischen Welt leben. So wie Dinge unsere Probleme lösen sollen, gehen wir leicht davon aus, dass die Menge an Dingen bestimmt, ob wir ein einfaches Leben führen oder nicht.
Entrümpeln.
Leer räumen.
Marie Kondo.
In unserer auf Dinge ausgerichteten Kultur ist es ein scheinbar logischer Schritt, dass ich die Dinge dafür verantwortlich mache, wenn ich mich von meinem komplizierten Leben überwältigt fühle. Die Sehnsucht nach Klarheit, Aufgeräumtheit und Übersichtlichkeit wird bei mir immer dann größer, wenn es eben schwierig ist. Bitte, lass es endlich einfacher sein. Die Erfüllung dieser Sehnsucht verspricht Leichtigkeit, weniger Stress und Anspannung.
Sicher, auch ich möchte in einer Wohnung leben, in der ich mich wohlfühle. Nach einigen Entrümpelungsrunden habe ich allerdings festgestellt, dass meinem Naturell eher das gepflegte Chaos entspricht, ein Lebensraum, der das bunte Leben widerspiegelt. Ich mag Räume, die belebt aussehen, nicht dekoriert. In einer sehr weißen, sehr stylischen Ferienwohnung habe ich mich erst dann wirklich wohlgefühlt, als ich bunte Kleidung und Schals darin verteilt hatte.
Das Aufräumen und Ordnen, das Sortieren und Entscheiden was bleiben darf, hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass wir uns damit in schwierigen Lebenssituationen beweisen können, dass wir doch noch etwas unter Kontrolle haben, noch etwas entscheiden und gestalten können, was uns unmittelbar betrifft. Und es kann dazu beitragen, dass wir einen besseren Sinn dafür entwickeln, was uns wirklich wichtig ist, was uns wirklich gefällt. Wenn ich das weiß, wird es tatsächlich einfacher, weil die Möglichkeiten weniger werden, zwischen denen ich mich entscheiden muss.
Je mehr ich entscheiden muss, desto komplizierter erscheint mir mein Leben jedenfalls. Wenn dann noch Unsicherheit dazu kommt, was den jeweiligen Ausgang meiner Entscheidungen angeht, dann wird es ganz schwierig.
Ein einfaches Leben wäre also eines, in dem ich sehr wenig entscheiden muss.
Weil mir meine Regeln und Werte klar sind. Weil ich genau weiß, was ich will.
Und das ist das Dilemma, in das mich das Nachdenken über das einfache Leben geführt hat: Es ist ganz schön kompliziert und gar nicht einfach, sich das einfache Leben selbst zusammenzubauen. (Jedenfalls jenseits vom Entrümpeln.)
Katholische Klosterschwestern und -brüder haben es da einfacher. Die sind mir tatsächlich ziemlich am Anfang meiner Überlegungen eingefallen. Das Leben im Kloster ist in mehrfacher Hinsicht einfach: So gut wie kein persönlicher Besitz durch das Armutsgelübde und keine notwendigen Entscheidungen durch Unterwerfung unter Ordensregeln und die Entscheidungen der Äbtissin oder des Abtes. Da steckt allerdings auch der Haken an der Sache: Ohne Aufgabe der persönlichen Freiheit geht es nicht.
Man bekommt dafür aber auch maximale Sicherheit was die grundlegenden, menschlichen Bedürfnisse angeht. Vollverpflegung zu festgelegten Zeiten, nie wieder Ärger mit der Klamottenauswahl, kein Dekoterror in der Zelle. Oft gibt es auch noch sinnstiftende Arbeit zu verrichten in der Nahrungsmittelherstellung für den Eigenbedarf oder den Verkauf. Vielleicht auch kunsthandwerkliche Arbeit in eigenen Werkstätten, Pflege- und Erziehungsarbeit oder spirituelle Führung für verwirrte Führungskräfte. Mit Glück schickt einen die Äbtissin nach der eigenen Neigung oder Talent zur Arbeit. Klosterbier, Klosterbrot, Klosterlikör, Klosterhospital, Klosterschule, Seminar im Kloster. Der Klosterboom für gestresste Gläubige wie Ungläubige wundert mich kein bisschen.
Dazu oft schöne Gärten und Bibliotheken zur Erbauung, prachtvolle Kirchen für das spirituelle Wohlergehen, Kunstwerke für den Sinn nach Ästhetik und Schönheit. Kollektive Nutzung des Besitzes einer globalen Megaorganisation. Das Leben ist einfach, wenn für alles gesorgt ist.
Ich will aber beides! Persönliche Freiheit und dass es bitte schön einfach sei.
Leider bin ich im modernen „einfachen Leben“ für die Infrastruktur meines Lebens selber verantwortlich. (So will ich es ja auch haben!)
Was das etwas vereinfachen könnte, ist das Entrümpeln meines geistigen Dachbodens von Werten, Normen, Verhaltensweisen, Regeln, die mir nicht entsprechen. Irgendwie habe ich sie im Laufe der Zeit angesammelt und jetzt versperren sie mir die Sicht und engen mich gedanklich ein. Machen das Entscheiden schwer.
Zumindest kann ich alles mal an die Sonne schaffen und gründlich abstauben. Wahrscheinlich sind da einige Schätzchen dabei, die nicht auf den Müll gehören. Damit kann ich mir dann mein Oberstübchen gut einrichten und mich dort ganz zuhause fühlen. Und es schafft Platz für Neues.
Aber es ist erst einmal ein riesiger Berg Arbeit und einfach ist das natürlich auch erst mal nicht. Es muss erst schlimmer werden, bevor es besser wird. Jaja.
Bestimmt ist es auch eine Frage der Übung. Und ich muss ja auch nicht alles auf einmal runterräumen. Nach und nach die Dinge auf den Prüfstand stellen. So könnte es einfacher sein.
Wenn ich lerne, was für einen Einrichtungsstil ich gerne hätte, schleppe ich vielleicht auch nicht mehr jeden Mist nach oben, sondern kann gleich besser entscheiden. Das ist mit Ideen auch nicht anders als mit Hinstellerchen und Einstauberchen.
Wenn ich vor allem klaren, hilfreichen Gedanken meine Aufmerksamkeit schenke, wird es einfacher. Die anderen können gerne kurz durchmarschieren auf dem Weg nach draußen.
Marie Kondo für den Kopf quasi.
Das „einfache Leben“ bleibt also erst einmal eine Sehnsucht für mich.
Ein Nordstern an dem ich mich ausrichten kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn nie erreichen werde. Und wahrscheinlich wäre mir ein einfaches Leben sowieso nach einer Weile einfach nur langweilig.
„Das Leben“ ist sowieso viel zu unberechenbar und chaotisch für dauerhafte Einfachheit. Ein Wirbelsturm – und mein Dachboden ist gründlich durcheinander und ich finde nichts mehr wieder. Aber das macht nichts. Wichtig ist, dass ich weiß, wie ich wieder aufräumen, Ordnung und Klarheit herstellen kann. Und ansonsten kann ich versuchen, ab und zu das Auge im Zentrum des Sturms zu sein.
Da wo es ganz still ist und hell. Also alles ganz einfach.