Mal mit dem eigenen Leben reden

Mal mit dem eigenen Leben reden

Das Leben als Dialog

Ein guter Dialog, ein gutes Gespräch ist eine phrasenfreie Zone, ein wechselseitiges aufeinander Eingehen mit großer Offenheit für die Richtung, die das Gespräch einschlägt. In einem guten Gespräch wird man manchmal von sich selbst überrascht, von dem was man sagt. Vielleicht komme ich durch das Gegenüber und das Gesagte an Ressourcen, die ich vorher noch gar nicht kannte. Kann dadurch Dinge denken, die ich noch nie gedacht habe.

Wie wunderbar ist es zu mäandern, sich Schritt für Schritt, Zug um Zug weiterzubewegen, gemeinsam schlendernd Gedanken zu teilen und zu staunen, wo wir gemeinsam hingelangen. Sich aufeinander einlassen und unbekannte Orte entdecken, die man nie zuvor gesehen hat.

Gut zusammenklingen.
Das muss noch nicht einmal Gleichklang bedeuten. Dialog ist vielleicht sogar besonders schwierig, wenn der andere genau den gleichen Ton singt, das genau gleiche Lied, am Ende noch in derselben Stimmlage. Dann gibt es keine Fortbewegung, keine gegenseitige Inspiration. Ohne Variation über das Thema wird jedes Musikstück schnell langweilig.  Allerdings ist es schön vertraut. Gähn! Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Langeweile die niedrigste Stufe von Wut sei und Stephan Lerner sagte angeblich: „Nicht Unglück ist das Gegenteil von Glück sondern Langeweile.“

Die Freiheit der Improvisation im Gespräch
Ein überraschendes Thema taucht auf, wird aufgenommen, variiert und darf sich weiterentwickeln. Es ist so schön, wenn das passiert. Das gelingt aber nur, wenn ich mir sicher sein kann, dass ich nichts Essentielles verliere, wenn ich mich auf das Wechselspiel einlasse. Und es braucht viel Können.

Das eigene Thema frei lassen können, statt daran festzukleben oder es konservieren zu wollen und dauernd unverändert zu wiederholen. Aushalten können, dass „mein“ Thema verändert wird, vielleicht sogar die Form verloren geht. Erlauben können, dass es ein*e andere*r in Besitz nimmt und etwas Eigenes daraus macht. Inspirieren zulassen können und verstehen, dass dadurch nicht die Ursprungsidee entwertet, sondern transformiert wird. Und in neuer Gestalt weiterlebt.

Mein Thema ist nicht meine Identität, ich kann mich leicht davon trennen.

Und das Ganze dann im Dialog mit dem eigenen Leben. Puh!

Also ich setze mich meinem Leben gegenüber und wir reden mal miteinander. Ich versuche die Fragen zu hören und zu beantworten, die das Leben mir so stellt.

Leider ist das Leben manchmal ein unglaublich taktloser Dialogpartner und stellt geradezu unverschämte Fragen. Und hört nicht auf, genau da nachzubohren, wo ich bestimmt nicht tiefer graben will. Das Leben stellt Fragen, die ein freundlicher und rücksichtsvoller menschlicher Gesprächspartner wohl nicht stellen würde.

Wer bist du ohne deinen Job?

Was machst du, wenn du nicht mehr so leistungsfähig sein kannst?

Was tust du, wenn es unsicher wird? Wirst du zum sturen Idioten?

Wirst du zum Arsch, wenn ich dir Erfolg gebe?

Was tust du mit deinen Talenten?

Wird die Welt durch dich zu einem besseren Ort? Oder nur für dich?

Ekelhafte Fragen, extrem schwer zu beantworten und natürlich stellt sie das Leben selten in solcher Klarheit sondern schickt einfach ein Lebensereignis oder einen Schicksalsschlag vorbei.  Einfach macht es einem das eigenen Leben nicht immer, so viel steht fest.

Blöderweise kann ich mich diesem Gesprächspartner nicht entziehen. Er bleibt einfach weiter zuverlässig am Tisch sitzen und wartet, bis ich mich ihm wieder zuwende. Manchmal wird es allerdings laut – das Leben – und liegt mir mit seinen Anforderungen unüberhörbar in den Ohren. Alle Geschäftigkeit und alles gestresst sein nützt dann nichts mehr. Dann mag ich mir vielleicht die Finger in die Ohren stecken und „Lalalala, ich hör nix!“ singen, das funktioniert aber auch nicht lange. Und nützen tut es sowieso nichts.

Spätestens wenn ich alleine, ruhig und ohne Ablenkung in einem Raum sitze, wird es ungemütlich. Denn das Leben ist immer viel, viel stärker als ich. Ein Tauziehen verliere ich immer.

Vielleicht wird das Leben auch nur dann unangenehm, wenn ich mich konsequent dem Mäandern widersetze und mein Ding durchziehen will. Wenn ich mich den Fragen und dem Dialog, der mich woanders hin bewegt, verweigere.

Ein Gedanke, der mir gefällt ist: „Mein Leben ist wie ein guter Freund, den ich versuche, so gut wie möglich zu verstehen.“ (Auch wenn er manchmal anstrengend ist.)

 

 

Dieser Blogbeitrag ist entstanden nach dem Denkduett vom 03.11.2020 mit dem Thema „Dialog – Warum man sein Leben als Dialog verstehen muss“ mit Marius Tölzer & Nicolas Dierks.

Danke für die Veranstaltung! Ich hatte unglaublich viel Freude an diesem Abend beim gemeinsamen Denken. Schön, dass es sowas gibt! Mein Glauben an die menschliche Vernunft ist gut gewässert worden. Ich hoffe, das Pflänzchen erholt sich langsam wieder.

Alle fehlerhaften oder nicht sauber philosophischen Gedanken, Zitate und Ideen in diesem Text sind komplett auf meinem Mist gewachsen. Diese bitte ich zu entschuldigen und bin offen für einen Dialog, der meinen Horizont erweitert. 🙂
Wer das Original hören will, gehe auf: https://denkduett.de/

 

 



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